Die Geschichte der Braugasse 1 in Hoyerswerda
Stacks Image 72

Inge Ilin

Seite 1

Für alte Häuser scheint Inge Ilin etwas übrig zu haben. Sie sitzt an einem Tisch in einem ihrer Lieblings-Lokale. Es befindet sich in jenem Hoyerswerdaer Haus, in dem im 18. Jahrhundert die beiden Amtmänner Lessing residierten. Hinter ihr hängt ein Gemälde, das römische Ruinen zeigt. Man denkt unwillkürlich an das Haus in der Braugasse. Inge Ilin ist es wohl maßgeblich zu verdanken, dass es nun nicht ganz verfällt. Sie war es, die den Anstoß für ein bemerkenswert breites Bürger-Engagement für das Gebäude gab. Seit 2006 leitet sie den Verein “Braugasse 1". Erzählt man der 64-Jährigen, dass die KulturFabrik zu Anfang der 1990er beinahe einmal ins Lessing-Haus eingezogen wäre, ist sie überrascht: „Ach, das wusste ich gar nicht.“ Am Nachbartisch sitzt zufälligerweise eine Bekannte. „Ja, schon komisch, dass jemand aus dem Westen kommen muss, um uns aufzurütteln“, sagt die Ärztin. Inge Ilin stammt aus dem Ruhrgebiet. Sie kam in Essen zur Welt, besuchte dort die Volksschule und legte am katholischen Mädchengymnasium Beatae Mariae Virginis ihr Abitur ab. Es folgten ein Pharmaziestudium in Braunschweig und weitere Stationen etwa in Salzgitter oder Bad Wörishofen. Sie war das Umherziehen also gewöhnt, als sie 1994 in Augsburg jemand auf das neue Ärztehaus im Hoyerswerdaer WK I aufmerksam machte. Hier fehlte ein Apotheker. Inge Ilin zog also ein weiteres Mal um und hier muss ihre Zuneigung zu alten Häusern etwas mit der im Bauhausgeist industriell gefertigten Hoyerswerdaer Neustadt kollidiert sein.

Seite 2

„Stellen Sie sich das einmal vor: Ich kam aus einem 200-Seelen-Dorf“, sagt die Apothekerin. In Dösingen zwischen Ammersee und Bodensee wird es deutlich beschaulicher gewesen sein. So hohe Häuser wie damals noch in fast jedem Wohnkomplex der Neustadt gab es in dem bayerischen Ort jedenfalls nicht. “Ich kam mir hier vor wie Alice im Wunderland”, lacht Inge Ilin. Es war dann ausgerechnet die ab 1996 an der Braugasse beheimatete KulturFabrik, in sie das Stück Gemütlichkeit fand, das sie vermisste: „Da gab es zum Beispiel getöpferte Tassen und dieses schöne Sofa. Das Kino war immer so nett und meine Tochter Angela hat bei KuFa-Kinder-Angeboten mitgemacht, obwohl sie sonst eher zurückhaltend war.“ Inge Ilin war kein KuFa-Mitglied, aber die Nutzung des Hauses an der Braugasse war ihr damals deutlich wichtiger als das Gebäude selbst. Deshalb schmerzte sie der Umzug an den Stadtrand 1999 ziemlich. „Ich war entsetzt“, sagt Inge Ilin.

Seite 3

Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sich daraus für sie recht weitreichende Konsequenzen ergaben. Zunächst einmal war Inge Ilin wieder einmal im KuFa-Kino. Ende 2004 sah sie dort einen Film: „Es ging um Bürgerbeteiligung. Die Quintessenz war so etwa: Wer will, dass etwas geändert wird, der muss das als Bürger selbst in die Hand nehmen. Also habe ich mich in der Diskussion zu Wort gemeldet.“ Sie sagte so ungefähr, dass die KuFa dringend zurück an den Markt müsse und dass das doch ein lohnendes Ziel wäre. Es habe, entsinnt sich Inge Ilin, zustimmendes Gejohle gegeben. Wahrscheinlich erinnerte sie sich daran, als es im Jahr darauf hieß, dass das Haus verkauft werden soll. Die Apothekerin war wütend, war beim Auszug doch von der Kommunalpolitik ein baldiger Wiedereinzug in ein saniertes Gebäude versprochen worden. Inge Ilin setzte also einen kämpferischen Aufruf ganz im Geiste des besagten Filmes in die Zeitung und zu einer Bürgerversammlung im Schloss stand sie Anfang 2006 plötzlich vor 120 Menschen.

Seite 4

„Ich war mein Leben lang nie in einem Verein“, erzählt sie. Und nun bildete sie unvermittelt die Spitze des „Braugasse 1 e.V.“, dessen Zweck es laut Satzung insbesondere ist, Spenden „zur Erhaltung des sanierungsbedürftigen Gebäudes Braugasse 1 am Markt der Altstadt“ einzuwerben. Inge Ilin lernte also zum Beispiel, wie man eine Vereinsversammlung leitet. „Und meine Vereinsfreunde haben mir auch etwas mehr Pünktlichkeit beigebracht“, lächelt sie. Anfänglich, erzählt die Vereinsgründerin, habe man sich ganz schön zusammenraufen müssen. Inzwischen ist sie vielen aus dem Verein freundschaftlich verbunden. Kein Wunder, denn was hat man nicht alles gemeinsam ausgeheckt: Anstecker, Aufkleber, Kalender und bedruckte Tassen entstanden zugunsten des Hauses. Man stellte sich immer und wieder mit Ständen in die Öffentlichkeit, erklärte und argumentierte. Der Verein führte wieder und wieder Interessenten durchs leere Haus und hielt immer wieder die Sammelbüchse hin. Die Mitglieder besuchten die Sitzungen der Stadtratsfraktionen und setzten sich mit der Rathausspitze zusammen.

Seite 5

Letztlich hat Inge Ilin inzwischen nicht nur ihr ursprüngliches Ziel, den Wiedereinzug der KuFa ins Haus, nahezu erreicht. Sie hat durch ihr Engagement auch allerhand Erfahrungen sammeln können. Natürlich ist sie mittlerweile über die Geschichte des Hauses und damit auch über Teile der Hoyerswerdaer Historie informiert. „Ich wäre sonst wohl auch nie beim Oberbürgermeister gewesen. Auch mit Baudezernent Dietmar Wolf verstehe ich mich gut“, gibt sie ein weiteres Beispiel. „Sogar Werner Gertler habe ich kennen lernen dürfen“, sagt die Apothekerin über den inzwischen verstorbenen Drehorgelspieler. Und keine Frage: Natürlich will sie die meisten der Kontakte im Verein nicht mehr missen. Zudem hat sich herausgestellt, dass ideelles Engagement manchmal mehr wert ist als Geld. Die Million an Spenden, mit der manche zu Beginn geliebäugelt hatten, ist längst nicht zusammen. Aber die Politik war wohl so beeindruckt vom lang anhaltenden Einsatz von Jung und Alt, von Neustädtern, Altstädtern sowie Menschen aus den Ortsteilen, dass Oberbürgermeister Stefan Skora das ehemalige Ball- und Vereinshaus 2008 zur Chefsache machte. Das Rathaus trieb also nicht ganz ohne Anstrengungen die zum Bauen nötigen fünf Millionen Euro auf und Inge Ilins Verein sammelt jetzt etwas bescheidener, um bei der anschließenden Ausstattung des künftigen Bürgerzentrums “Konrad Zuse” helfen zu können. Die ist im Gegensatz zu den reinen Baukosten nämlich nicht förderfähig, müsste also von der chronisch klammen Stadt ganz allein gestemmt werden. Der „Braugasse 1 e.V.“ hat inzwischen in der Satzung den Vereinszweck angepasst.

Seite 6

Inge Ilin hätte sich das alles nicht träumen lassen. Das Brauwesen hatte für sie ja früher keineswegs nur im übertragenen Sinne eine Rolle gespielt. Ihrer Familie gehörte in Essen ein entsprechendes Unternehmen. Josef Hartmanns Bierverlag und Mineralwasserfabrik füllte zum Beispiel die berühmte Raboll-Brause ab. „Im Sommer, wenn andere Kinder baden waren, haben wir Flaschen sortiert“, sagt Inge Ilin über sich und ihre Geschwister. Das ist nun lange her und mit dem Wortstamm „Brau“ verbindet sich für sie nun eben nicht nur Raboll-Brause, sondern auch der Ort, von dem historisch betrachtet das Hoyerswerdaer Schloßbräu stammt. Eigentlich, sinniert Inge Ilin, sei das Ziel des Vereins, der so wie dieser Fleck in der Altstadt heißt, ja nun erfüllt und man hätte die Organisation auch gut und gern auflösen können. Nur: “Wir haben über die Jahre so viel Hin und Her erlebt, da begleiten wir den Umbau lieber noch bis zum Schluss.” Und dann? Sollte es 2014 wirklich mit dem Engagement der Inge Ilin vorbei sein? „Na, ich glaube, ich würde es überleben“, juxt sie. Es könne gut sein, sagt sie da an dem Restaurant-Tisch, dass sie sich 2014 aus dem öffentlichen Leben der Stadt ins privat-berufliche zurückziehe. Schließlich hat sie sich gerade noch eine Apotheke in Bautzen zugelegt. Nur kaum hat sie das gesagt, da fügt sie auch schon an: „Vielleicht machen wir auch einen Ballhaus-Verein daraus, der die Arbeit der Leute an der Braugasse begleitet. Schließlich wird es auch später ganz sicher Probleme zu lösen geben. Aber dann bin ich bestimmt nicht mehr die Vorsitzende.“ Allerdings ist auch der zweite Satz nach wenigen Skunden schon halb zurückgenommen. Schließlich wisse man nie, was komme. Vor zehn Jahren, wie gesagt, hätte sie sich nicht einmal träumen lassen, jemals in einen Verein einzutreten. Man werde also sehen. Eines ist aber sicher: „2014 gibt es eine große Fete.“
top