Die Geschichte der Braugasse 1 in Hoyerswerda
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Reiner Hammerschmidt

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Immer und immer wieder kommt Reiner Hammerschmidt auf den Brennofen zu sprechen. „Wenn man den anschaltete, dann flackerte wegen der benötigten Leistung schon mal das Licht“, erinnert sich der 68-Jährige. Es muss wohl eine beeindruckende technische Anlage gewesen sein, mit der im Haus II des Pionierhauses „Grete Walter“ die Keramik gebrannt wurde. „Es gab hunderte Probleme damit“, erzählt Reiner Hammerschmidt. Einmal zum Beispiel habe er nachts davon geträumt, dass der Ofen ausbrennt. Und seltsamerweise tat er das zur selben Zeit auch. Der Leiter der Abteilung Kultur am Pionierhaus machte sich also auf den Weg, um in der halben DDR Ersatzteile zusammenzusuchen. Als Reiner Hammerschmidt seine Arbeit im Haus an der Braugasse 1979 antrat, war es seit zwei Jahren Pionierhaus. Der in Harzgerode aufgewachsene Mann war 36. Er hatte in Quedlinburg Maler gelernt, dann in Magdeburg sowie in Potsdam Malerei studiert und sich schließlich an der Humboldt-Universität Berlin zum Lehrer für Kunsterziehung und Geschichte ausbilden lassen. 1969 kam er nach Hoyerswerda und war hier zehn Jahre lang an der POS X „Otto Grotewohl“, der heutigen Neustadt-Mittelschule im WK VI, tätig. Aber, sagt er, als Lehrer sei er zu gutmütig gewesen: „Das haben die Schüler ausgenutzt, also hatte ich Disziplinschwierigkeiten.“ Der Pädagoge wechselte schließlich an den Markt. Hier war Pionierhausleiter Franz Schreiber gerade die Chefin der Kultur-Abteilung abhanden gekommen.

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Nun klingt das Wort „Leiter“ größer als es in Wirklichkeit war. Zunächst nämlich waren Reiner Hammerschmidt und Brigitte Führer abgesehen vom technischen Personal die beiden einzigen festen pädagogischen Mitarbeiter im Haus II. Rainer Hammerschmidt hatte zum Beispiel die jährlichen Kreisfeste der Jungen Talente zu organisieren oder auch dafür zu sorgen, dass die Arbeitsgemeinschaften liefen: „Eine Hauptaufgabe war, Leute zu suchen, die als AG-Leiter mit den Kindern arbeiteten.“ Mehr als zwanzig solcher AGs gab es im Pionierhaus am Markt, dem damaligen Platz der Roten Armee. Reiner Hammerschmidt hat noch eine AG-Liste aus dem Schuljahr 1989/90. Darauf stehen unter anderem Malerei und Kabarett, ein Magischer Zirkel, der Fanfarenzug und natürlich auch die Arbeit mit Keramik. Probleme, Helfer zu finden, hatte Reiner Hammerschmidt nie. Es gab schließlich zum Schluss 24 Schulen in der Stadt und unter anderem weil die materielle Ausstattung für das Pionierhaus immer besser gewesen sei als die für die Schul-AGs, habe es auch immer genügend interessierte Lehrer gegeben, sagt er. Und auch Hausmeister Heinz-Werner Schneider half mit, war viele Jahre lang AG-Leiter beim Puppentheater. Diesem Mann, erzählt Reiner Hammerschmidt, sei es überhaupt zu verdanken, dass das ehemalige Ball- und Gesellschaftshaus noch steht: „Er hat es praktisch gerettet.“ Nach dem Auszug der Schulen sollte es nämlich abgerissen werden. Doch Schneider schrieb eine Eingabe und wies wohl unter anderem auf die Domowina-Gründung im Gebäude im Jahr 1912 hin. Schließlich zog das Pionierhaus mit seinem Haus II ein. Zuvor tapezierte Schneider noch die Wände. „Das war diese furchtbare Glasfließtapete, die damals modern war“, erinnert sich Reiner Hammerschmidt.

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Und während der vorerst erste Retter des Ballhauses also AG-Leiter beim Puppenspiel war, baute Reiner Hammerschmidt ein Keramik-Zentrum auf. Der Ofen war zunächst gar nicht das Problem. Der war ja da. „Aber wer kennt sich mit so etwas schon aus“, fragt Reiner Hammerschmidt. Er machte sich also auf den Weg in die Töpfereien der Lausitz, um zu lernen. Zwar stand Töpferei auch im Studium schon im Lehrplan. Nur: Der Rede wert war das nicht. „Ein Topf und gut“, sagt Reiner Hammerschmidt, den die Liebe zur Töpferei also erst nach und nach in der Hoyerswerdaer Altstadt ereilte. Sie sollte ihn nie wieder verlassen. Noch bis 2005 leitete er immer montags einen Keramikkurs der KulturFabrik und bis heute gestaltet er die „Martha“-Plastiken, mit denen engagierte Hoyerswerdaer Frauen geehrt werden.

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Doch auch zum Experten in Sachen sorbischer Kultur sollte der Mann aus dem Unterharz dank seiner Arbeit im Pionierhaus noch werden. Als der Bund Lausitzer Sorben Domowina 1987 seinen 75. Geburtstag feierte, ging das auch an ihrem Gründungshaus nicht spurlos vorbei. Nicht nur wurde vor dem Gebäude eine Gedenk-Stele der sorbischen Künstlerin Eva-Ursula Lange errichtet. Im Foyer des Pionierhauses richtete man zudem ein Mini-Museum ein. In diesem „Traditionskabinett“ stand zum Beispiel eine Vitrine mit einer vom Trachtenhaus Jatzwauk bekleideten Puppe. Die Pionierhaus-Mitarbeiter waren zunächst etwas skeptisch. Schließlich standen im Foyer zuvor eine Tischtennis-Platte und ein Billard-Tisch. Aber so viel Platz nahm die Ausstellung dann doch nicht weg und Reiner Hammerschmidt erinnert sich, dass in der ersten Zeit ziemlich viele Gruppen kamen, um sie sich anzusehen: „Ich habe dann die Führungen übernommen.“ Im Februar 1988 kam sogar eine Delegation des dänischen Parlamentes mit dessen Vorsitzendem Svend Jakobsen an der Spitze. Auch der dänische Botschafter Erik Herluf Krog-Meyer war dabei. Die Gäste hätten sich, sagt Reiner Hammerschmidt, darüber informieren wollen, wie die DDR mit der sorbischen Minderheit umgeht. Schließlich gibt es ja auch eine dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. Reiner Hammerschmidt jedenfalls wurde zum Domowina-Ehrenmitglied ernannt. „Weil ich mich dafür eingesetzt habe, dass das läuft“, sagt er. Und als schließlich beim Einzug der KulturFabrik ins dann schon zum Kinder- und Jugendtreff (KJT) umfunktionierte Haus mehr Platz benötigt wurde, sorgte er auch dafür, dass die Domowina die wichtigesten Exponate abholte.

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Reiner Hammerschmidt nämlich sollte das Ende des Pionierhauses überstehen. Er zog sogar 1999 für kurze Zeit noch mit der KuFa, deren Mitglieder noch beim Einzug ins Haus am Markt als Fremde skeptisch beäugt wurden, aus dem KJT in die Alte Berliner Straße um. Dort wurde unter seiner Führung das „Zwiebelchen“ (von „ZwischenBelegung“) zum Mini-KJT. Hier gibt es auch nach wie vor einen Keramik-Brennofen. Schon im Jahr nach dem Umzug allerdings wechselte Rainer Hammerschmidt ins städtische Kulturbüro. Eine Epoche war für ihn vorbei. „Ich habe das Haus geliebt. Das waren die schönsten zwanzig Jahre meines Lebens“, sagt er über seine Zeit im Pionierhaus. Er habe sich damit identifiziert. Schließlich konnte er hier all das tun, was ihm lieb war, was ihm lag. Im Kostüm und mit Gitarre war er hier oft genug Clown Reiner. Hier hat er auch nicht weniger oft eine Leine im Saal gespannt, über die hinweg Kinder dann bei einer Mannschafts-Kissenschlacht Punkte sammeln konnten. Hier hat er Märchen nicht nur vorgelesen, sondern regelrecht gestaltet - samt Stimme vom Tonband und Märchenquiz. Von hier aus hat er auch die jährlichen „Galerien der Freundschaft“ betreut, die bis heute als Kinder- und Jugendgalerien fortleben. Und nicht zu vergessen: Er hat hier wer weiß wie viele Male den Brennofen ein- und ausgeräumt. „Und wir haben es immer recht unpolitisch gehalten. Es ging um die Arbeit mit den Kindern“, sagt Reiner Hammerschmidt. Und so gibt es Fotos, die zeigen ihn hier mit Kapitänsmütze, mit einer Hexenpuppe auf dem Arm oder auch mit Schürze am Schreibtisch. Jemand hatte ihm ein Schild darüber gehängt. „Villa Hammerschmidt“, stand darauf in Anlehnung an den Sitz des Bundespräsidenten in Bonn. „Es war eine ausfüllende Tätigkeit“, sagt Reiner Hammerschmidt über die Jahre in Pionierhaus und KJT. Das scheint übrigens nicht nur für ihn zu gelten. Im September 2002 jedenfalls trafen sich ehemalige Mitarbeiter im „Zwiebelchen“, um den 50. Geburtstag des Pionierhauses zu feiern, das ab 1952 zunächst in der Senftenberger Vorstadt zu finden war.

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Im Haus an der Braugasse traf Reiner Hammerschmidt sogar Konrad Zuse, nach dem das künftige Bürgerzentrum einmal benannt werden soll. Im September 1995 stand er plötzlich mit dem damaligen Bürgermeister Horst-Dieter Brähmig in der Tür. „Ich bin hier zur Schule gegangen“, habe der freundliche ältere Herr gesagt. Dass dieser Mann der Erfinder einer Maschine war, die heute als erster frei programmierbarer Computer gilt, wusste Reiner Hammerschmidt damals nicht. Man habe Zuse einfach den Kinder- und Jugendtreff gezeigt. „Ich glaube nicht, dass er wirklich erfasst hat, was wir da gemacht haben“, sagt Hammerschmidt. Vier Jahre später half er, die Bühne abzubauen. Es sollte ja eigentlich schnell zurück gehen. „Wir haben das damals alle geglaubt“, erinnert er sich. Doch es sollte bekanntermaßen anders kommen und natürlich hat die jahrelange Hängepartie ihn nicht besonders glücklich gemacht. Aber womöglich kann er ja doch noch als Protagonist in sein geliebtes Haus und auf eine neue Bühne dort zurückkehren. Reiner Hammerschmidt gehört heute nämlich zur Seniorentheatergruppe der KuFa. Zuletzt wurde ein Stück geprobt, in dem es im weiteren Sinne auch um die Rettung eines alten Hauses ging, eines Altenheims. Die Bewohner wiedersetzen sich der Kommerzialisierung ihres Heimes. Reiner Hammerschmidt durfte die rechte Hand des Bösewichtes geben, der sich das Haus unter den Nagel reißen wollte. Es siegen Menschlichkeit und Liebe. Und Reiner Hammerschmidt kriegt in seiner Rolle die Enkelin einer Heimbewohnerin ab. Die hübsche junge Frau, die diese Rolle als Gast der Seniorentruppe spielte, ist fast exakt in dem Alter, in dem Reiner Hammerschmidt vor drei Jahrzehnten im Pionierhaus anfing, sich mit Brennöfen zu befassen.
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